Lehrerfortbildung für neues Unterrichtsmodul "Alltagskompetenzen - Schule fürs Leben"
Selbstbestimmt denken, verantwortlich handeln

Fünf Lernstationen zur NachhaltigkeitZoombild vorhanden

© Dr. Michael Ammich/AELF

Was bedeutet „Alltagskompetenz“? Dr. Reinhard Bader zog einen Schnürsenkel aus seiner Jackentasche. „Der Senkel ist 70 Zentimeter lang, hat einen Durchmesser von vier Millimetern und es bedarf einer Zugkraft von fünf Newton, um ihn zu zerreißen - so würde ihn wohl ein Physiklehrer beschreiben“, sagte der Leiter des Amts für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten (AELF) Nördlingen-Wertingen. Aber damit ein Schulkind mit dem Schürsenkel etwas anfangen kann, benötige es Alltagskompetenz: „Das Kind weiß hoffentlich, wie es den Schnürsenkel an den Schuhen binden muss.“ Mit diesem Beispiel zielte der Behördenchef vor rund 70 Lehrkräften der Wertinger Anton-Rauch-Realschule auf den Unterschied zwischen der Vermittlung von Wissen und der Vermittlung von Alltagskompetenz.

Hintergrund der eintägigen Fortbildung ist die von den Landfrauen im bayerischen Bauernverband lange geforderte Einführung eines Schulfachs „Alltagskompetenzen“. Ein eigenes Schulfach mochte das Kultusministerium am Ende zwar nicht zugestehen, dafür aber eine Projektwoche „Alltagskompetenzen – Schule fürs Leben“. Die Durchführung der Projektwoche ist für allgemeinbildende Schulen, Wirtschaftsschulen und Förderschulen im Lauf der Jahrgangsstufen 1 bis 4 und ein weiteres Mal für die Jahrgangsstufen 5 bis 9 verpflichtend. Das Konzept soll in der Praxis den Lebensweltbezug im schulischen Alltag stärken. Dafür hat das Kultusministerium verschiedene Handlungsfelder vorgesehen: Ernährung, Gesundheit, selbst bestimmtes Verbraucherverhalten, Umweltverhalten, Haushaltsführung und Digital handeln.

Hinter Lebensmitteln stecken auch Ressourcen

Bader führte ein weiteres Beispiel für die Alltagskompetenz an: „Auch ein junger Verbraucher sollte bereits wissen, dass er mit einem aus dem Ausland importierten Lebensmittel nicht nur dieses Lebensmittel einkauft, sondern auch das Wasser, die Nährstoffe und den Transport, die für seine Erzeugung und Vermarktung erforderlich waren.“ Zur Alltagskompetenz eines mündigen Verbrauchers gehöre also auch das Wissen um den Schutz der Ressourcen, der Arten, des Klimas und der Gewässer.

Fünf Lernstationen

Wie sich solches Wissen im Schulunterricht praktisch vermitteln lässt, führten die Mitarbeiterinnen des Sachgebiets Ernährung und Haushaltsleistungen am AELF Nördlingen-Wertingen den Lehrkräften an fünf Stationen vor, die sie in der Realschule und nebenan in der Landwirtschaftsschule aufgebaut hatten. An der ersten Station zeigte ihnen Sachgebietsleiterin Bettina Stadler auf, wie sie ihre Schülerinnen und Schüler anhand von praktisch orientierten Arbeitsmaterialien zu einem verantwortungsbewussten Konsumverhalten anleiten können.

Verpackungsmüll vermeiden

An der zweiten Station erläuterten Helen Haupt und Friederike Huber, wie sich ein großer Teil der 227 Kilogramm Verpackungsmüll vermeiden lässt, die im Schnitt jeder deutsche Verbraucher jährlich hinterlässt. Haupt und Huber erklärten den Lehrkräften die verschiedenen Recycling-Codes, die auf den Verpackungen zu finden sind. Weiter erläuterten sie die Zusammensetzung des Verpackungsmülls und die unterschiedlichen Auswirkungen der Materialien auf die Umwelt.

Nachhaltiger Kleiderschrank

Kerstin Kranzfelder betreute die Station „Mein nachhaltiger Kleiderschrank“. Durchschnittlich 60 neue Kleidungsstücke pro Jahr legt sich der deutsche Verbraucher zu. „So entsteht eine Kultur des Wegwerfens“, bedauerte Kranzfelder und machte auf die Möglichkeiten eines bewussten Umgangs mit Kleidungsstücken aufmerksam. Wenn sie nicht mehr passen, könnten sie beispielsweise auf Kinderflohmärkten verkauft oder an Freunde, ein Sozialkaufhaus oder einen Second-Hand-Laden weitergegeben werden – vorausgesetzt, mit der Kleidung wurde pfleglich umgegangen.

Sinnesparcours

An der vierten Station erwartete die Lehrkräfte ein „Sinnesparcours“. Dort erklärte Karin Sonntag, wie sich Kinder schon in den ersten Lebensjahren an geschmacksintensive Speisen mit viel Zucker oder Salz gewöhnen. Später wird es für die Eltern schwer, sie zum Verzehr von schwach gesüßten Speisen ohne zugesetzte Aromen zu bewegen. Ein Weg dahin könnte ein vielfältiger Speiseplan sein, der den Kindern immer wieder gesunde Lebensmittel anbietet. „Was immer wieder angeboten wird, hat größere Chancen, akzeptiert und gerne gegessen zu werden“, sagte Sonntag.

Achtsamkeit mindert nicht den Genuss

An der fünften und letzten Station führte Elisabeth Decker in den achtsamen Umgang mit Lebensmitteln ein, der keinesfalls zu Lasten des Genusses gehen muss. Das betrifft sowohl die Weiterverarbeitung von Lebensmittelresten, die bei der Zubereitung einer Mahlzeit übriggeblieben sind, als auch den Einkauf regionaler Produkte und die richtige Lagerung von Brot, Gemüse, Obst und Fleisch. Außerdem: Ein abgelaufenes Mindesthaltbarkeitsdatum heißt noch lange nicht, dass ein Lebensmittel nicht mehr genießbar ist. Dies gilt lediglich für ein abgelaufenes Verbrauchsdatum, erklärte Decker.

Keine Trockenübung

Am Ende der Fortbildung konnten die Lehrkräfte erste Eindrücke von den Möglichkeiten mitnehmen, die die Projektwoche „Alltagskompetenzen – Schule fürs Leben“ eröffnet. Mit ihrer praktischen Ausrichtung ist die Projektwoche keine „Trockenübung“, sondern ein abwechslungsreiches und spannendes Erlebnis für Schüler und Lehrer. Der zweite Konrektor der Anton-Rauch-Realschule, Jürgen Strohwasser, und die Mitarbeiterin der Schulleitung, Daniela Gollmitzer, bedankten sich bei den haus-wirtschaftlichen Fachkräften des AELF für die Vorbereitung und Durchführung der aufwändigen Fortbildung. Die Hoffnung Gollmitzers auf einen „tollen Input“ hatte sich damit sicher erfüllt.